Kunst und Frei
von Otto Künzli


Es war ein heisser Nachmittag. Die kühlen Tage davor trieben die Kinder aus den öffentlichen Schwimmbädern, und jetzt kamen sie zurück. Es war Ende Juli und doch schon fast Herbst. Wer ein Eis wollte, kaufte sich noch schnell eins. Die Kastanienbäume wurden ein Jahr später krank. Die Blätter fielen vor den Früchten. Das Rascheln mit den Füssen durch spätherbstliches Laub - ist nicht mehr. Kleine Würmer bohren nun Löcher durch Blätter.

Aber das Licht ist gut.
Und die Ausstellung auch.

Die Besucher strömen und sind begeistert. Der Raum ist voll, Bombenstimmung.
Fremd bleibt trotzdem das Bild eines Männerkopfes, niedergebeugt in die Hüfte eines lachenden Jünglings. Ähnliches habe ich davor in München nicht gesehen, aber auch Sonstwonich. Nicht einmal in Japan.
Es interessiert schon, was in der Hosentasche von Irgendjemand ist.
Aber tut man dann gleich sowas?
Die Nase ungefragt in die Angelegenheiten anderer, ja das tut man.
Aber die Augen in seines Nächsten Hosentasche?
Ja wo sind wir denn? Und doch gibt es dafür eine Maschine, ein Apparat, ein Gerät.
Bauhuis, Peter hat es gebaut.
Ein echtes Hilfsmittel: Es gibt mir nicht nur die Möglichkeit tief hineinzuschauen, es liefert mir durch seine bare Existenz den Grund und das Recht dies zu tun.
(Kunst macht frei!)
Und es vergrössert und beleuchtet den Inhalt:
Münzen, ein schon öfter mitgewaschenes filziges Papierknödelchen, ein Fahrradschlüssel, Krümel, und/oder.

Interessant.

Die zum Einsatz gelangende Vorrichtung heisst “Hosentaschen-betrachter“ und wurde zu Demonstrationszwecken vorübergehend aus der umlagerten und vielbestaunten Vitrine besagter Aus-stellung genommen. Ihre Form erinnert an eine kleine Kuh- oder Geissenschelle, ist aus Silber getrieben und besitzt Okular und einen roten Druckknopf zum Einschalten der innenliegenden Glühlampe.
Wer öfter peept muss öfter Batterie wechseln. Wer selten peept sollte die Batterie dazwischen herausnehmen. Wer nie peept ist nicht neugierig und mit solchen Menschen wollen wir eigentlich nichts zu tun haben.

Schön ist der Gegenstand in seiner Ambivalenz, seiner Widersprüchlichkeit in Erscheinung und Anwendung. Ist sein Innenleben von der Eleganz der Technik bestimmt, so ist sein Äusseres keineswegs wohlgestalt, eher beutelartig und amorph. Nicht dass es sich direkt aufdrängt, doch liegt die Erinnerung an ein Gemächt in der Luft...
Und was ich sehe, kann kein anderer Mensch sehen, und was ein Anderer in der gleichen Hosentasche sieht, mag was anderes sein, als ich sah. Das Erlebnis ist nicht teilbar. Das gilt auch für eventuelle olfaktorische Ereignisse, die Nase ist ja auch immer dabei.

So auch in „several appearances of mouth and nose“ in
den Bauhuisschen Webseiten: www.artfree.de

Und dass Nasen und Hosentaschen in essentiellem Zusammen-hang stehen, zeigt ein dem japanischen Meisterpoeten Matsuo Basho (1644-1694) zugeschriebenes Haiku-Gedicht aus der frühen Edo-Periode:

Hosentaschenwarm
wenn Münzen leiser klingen
Schnee auf Nase fällt